Leichtathletik

Thomas Reidick in Nord-Norwegen unterwegs

Thomas Reidick hat sich einen Traum erfüllt: am Samstag, 17.6.2023 um 20:30 Uhr startete er beim Tromsø Marathon

Wie bereits ankündigt - hier der Bericht von Thomas:

"Bei Vielen, die regelmäßig laufen und an Marathon-Läufen teilnehmen, keimt der Wunsch auf, mal am London-, Tokio- oder New York-Marathon oder einer der anderen großen Marathon-Veranstaltungen teilzunehmen. Nicht so bei mir, mein Läufer-Traum war seit vielen Jahren die Teilnahme am MIDNIGHT SUN MARATHON in Tromsø, nachdem ich mal einen Bericht darüber gelesen hatte. Zu der Zeit war dieser Lauf nördlich des Polarkreises noch der am weitesten nördlich gelegene Marathon auf der Erde.

Der Lauf wird seit 1990 jährlich ausgetragen in Tromsø, der Stadt in Nordnorwegen, die auch als „Tor zum Polarmeer und zur Arktis“ bezeichnet wird. Sie liegt beinahe auf dem 70. Breitengrad, ca. 400 Kilometer nördlich des Polarkreises. Von hier starten und starteten zahlreiche Expetitionen in die Arktis und an den Nordpol. Die Stadt selbst liegt auf einer Insel, dehnt sich aber weiter auf dem Festland aus, zu dem über den Tromsø-Sund die Tromsø-Brücke führt, ein Wahrzeichen der Stadt, über die natürlich gelaufen wird. Die weitere Umgebung von Tromsø ist geprägt von Meer und einer schönen Berglandschaft, ein wunderbares Panorama für einen Genuss-Lauf. Kann man sich vielleicht vorstellen wie Alpenvorland mit französischer Atlantikküste – nur kälter halt… Wir hatten uns auf Schnee eingestellt. Dass es dann aber in unmittelbarer Umgebung von Tromsø noch so viel Schnee gab, hat uns überrascht und gefühlt war es dadurch beim Marathon auf der Strecke beim ständigen Blick auf den Schnee im Hintergrund erfrischend kühl.

So weit nördlich des Polarkreises geht die Sonne das letzte Mal am 20. Mai eines Jahres auf, bleibt dann und bleibt und bewegt sich um Mitternacht herum immer über dem Horizont. Ein wunderbares Video zur Mitternachtssonne ist hier zu sehen Midnight Sun. Und erstmals geht sie wieder am 22. Juli unter.

Also die besten Voraussetzungen um - wie es der Name schon erraten lässt – ein Läuferfeld so auf die Reise zu schicken, dass außer der Elite die allermeisten nach Mitternacht bei Sonnenschein das Ziel erreichen. Dabei werden die Strecken 10 Km, Halbmarathon und eben der komplette Marathon angeboten. Etwa 6000 Läufer nehmen teil, davon ca. 1100 am Marathon.

In diesem Jahr sollte also es also bei mir oder besser bei uns so sein, weil Susanne und ich natürlich gemeinsam nach Norden aufgebrochen waren. Für uns Mitteleuropäer kann die Veranstaltung zum Triathlon (Hinfahrt-Lauf-Rückfahrt) werden, wenn man nicht wie die meisten per Flugzeug, sondern mit dem Auto die An- und Abreise wählt. Mit 2660 Kilometern war es bisher meine längste Auto-Anreise zu einem Marathon. Wir haben das Glück, dies mit einem Urlaub in Norwegen verbinden zu können.

Für die Hinfahrt hatten wir uns 8 Tage Zeit gelassen. Am Vortag des Marathons empfing uns Tromsø mit Sonnenschein und einem wolkenlosen Himmel. Der Campingplatz war - wie erwartet - mehr als voll und unsere frühzeitige Reservierung ein Segen. Nachdem wir uns dort eingerichtet hatten ging es zu Fuß und über die Tromsø -Brücke in die Stadt zur Ausgabe der Startnummern und zur Pasta-Party. Beides fand in einem Verwaltungsgebäude einer norwegischen Bank statt. Ein gediegenes Ambiente, aber eine Pasta-Party im Zelt bei einstelligen Temperaturen mag man(n) sich auch nicht so richtig vorstellen. Wir saßen neben einem französischen Paar, dass eigens für den Marathon per Flugzeug für 5 Tage nach Tromsø gekommen waren. Überhaupt ist eine große Anzahl der Teilnehmer nicht aus Norwegen, sondern kommt aus allen Ländern dieser Erde von allen Kontinenten. In meiner Altersklasse kamen nur ein Sechstel der Läufer aus Norwegen, der Rest aus aller Welt, tatsächlich von allen Kontinenten.

Wie verbringt man eine Zeit vor dem Marathon, wenn die Startzeit nicht wie gewohnt zwischen 9:00 und 11:00h ist, sondern erst am Ende des Tages um 20:30h? Wieviel Bewegung darf noch sein, wieviel Faulenzen macht träge? Was, wann und wieviel essen? Nochmal schlafen? Ich habe versucht, den Marathon-Tag so gewöhnlich zu gestalten, wie es halt ging. Am Morgen stand noch ein von Trainer Udo empfohlener lockerer Lauf an, um die Beine „frei zu machen“. Und dann haben wir uns Tromsø angeschaut und mal wieder bewundert, wie entspannt die Norweger sein können. Am Vorabend beim Abholen der Startnummer noch keinerlei Hinweis, dass 24 Stunden später die halbe Stadt vom Lauf betroffen sein würde. Es war weder Start- noch Zielbereich und keine Absperrungen zu sehen. Das wurde alles in Ruhe am Samstagmorgen aufgebaut. Dies zu beobachten ließ natürlich die übliche Anspannung vor einem Marathon in mir anwachsen.

Tromsø trägt den Beinamen „Paris des Nordens“ und ist eine überaus attraktive Stadt. Trotz der Randlage und sommerlichen Temperaturen mit im Juli durchschnittlich 12 Grad herrscht eine unvergleichliche Lebendigkeit und Weltoffenheit, auch weil Bürger aus mehr als 100 Nationen in ihr leben, arbeiten und studieren. Wir haben am Samstag diese Stimmung auf uns wirken lassen, den wolkenlosen Himmel die die überdurchschnittliche Wärme voller Vorfreude auf die Mitternachtssonne genossen und zwischendurch in einem gemütlichen Café die Seele baumeln lassen. Am Nachmittag habe ich dann tatsächlich eine gute Stunde geschlafen! Und dann etwas gegessen und die üblichen Startvorbereitungen getroffen. Mit dem Stadtbus ging es zum Start, die Abgabe der Kleidersäcke erfolgte am Foyer des Theaters, hatte etwas - wie schon die Pasta Party. Wie schon erwähnt kamen die Läufer von allen Kontinenten und es war spannend, bei der Startaufstellung die unterschiedlich Trikots zu sehen und Sprachen zu hören. Und dann erfolgte endlich der Start zu „meinem“ Lauf.

Zu Beginn ging es mit einer Schleife durch die Innenstadt von Tromsø, in der an einem Samstagabend bei diesem Wetter natürlich beste Stimmung war. Mir wurde sofort klar, dass dies eine aufpeitschende Stimmung war und so ging ich gefühlt erst einmal wandern, war aber dennoch nach einem Kilometer viel zu schnell. Also noch langsamer weiter, wobei mir dabei zu Hilfe kam, dass es steil aufwärts ging auf die Brücke über den Tromsø-Sund. Beim Passieren der Eismehr-Kathedrale hatte ich ein Tempo gefunden, von dem ich mir vorstellen konnte, es weitere 3 ¾ Stunden voller Spaß zu laufen. Genuss sollte gerade bei diesem Marathon den absoluten Vorrang haben vor Tempo und Platzierung. Am östlichen Fjord ging es knapp 10 km aus Tromsø heraus, aber immer an Häusern entlang, in deren Vorgärten Menschen saßen, meist grillend, und uns Läufer anfeuerten. Nach einer Wende ging es auf der gleichen Straße zurück, wieder die Brücke steil auf- und abwärts und dann war die Hälfte schon geschafft und wieder ging es motivierend durch die Innenstadt mit der tollen Stimmung.

Nach etwa 22 Kilometern trafen wir dann auf die deutlich größere Gruppe der Halbmarathon-Läufer, die um 22:00 h gestartet waren und zwar genau so, dass es vom Tempo her für mich sehr gut passte und ich auf der nun folgenden erneuten langen Strecke am anderen Fjord auf der westlichen Seite der Stadt in einer Gruppe mitlaufen konnte, zumal hier der Wind kräftig von vorne kam. Auch an diesem Fjord kam nach ca. 10 km eine Wende und mit Rückenwind ging es jetzt nur noch zurück Richtung Ziel.

Ob es an dem Wind lag oder meiner Zurückhaltung zu Beginn? Egal, auf den letzten 10 km habe ich fast nur noch andere Läufer überholen können und konnte mein eigenes Tempo nochmal anziehen, obwohl mir endgültig die Zielzeit völlig egal war, das schönste, was einem beim Marathon passieren kann. Die Sonne näherte sich langsam dem Horizont, ich änderte zum ersten und einzigen Mal beim Laufen die Einstellung meiner Uhr, die angezeigt Uhrzeit war exakt 0:00, so ein Zufall – unglaublich.

Noch einmal ging es durch die Straßen der Innenstadt und dem Ziel zu, was ich etwa 3:53:50h erreicht hatte. Susanne hatte mehrfach an der Strecke gestanden, mich angefeuert und unterstützt und Fotos gemacht, die ich in einen Online-Speicher geladen habe. Ihr hatte ich, wie bei vielen Läufen zuvor, eine Marschtabelle gegeben, damit sie sich orientieren konnte, bei welchem Kilometer ich wann bin. Nach dieser Tabelle hatte ich eine Zielankunft nach 3 Stunden und 56 Minuten angekündigt.

Ein unbeschreibliches Gefühl, nach Mitternacht bei Sonnenschein durch die Fußgängerzone von Tromsø zu laufen mit dem Ziel-Banner im Blick. Und es lag nicht an meiner euphorischen Stimmung oder daran, dass ich meine Sonnenbrille, die ich nach Mitternacht noch trug, abgesetzt hätte. Nein, es wurde tatsächlich heller, als ich im Ziel war und meinen Lauf mit Susanne feierte. Die Sonne hatte gerade ihren tiefsten Punkt erreicht und ging wieder auf, ein Gänsehautgefühl.

Auf den nächsten Bus wollten wir nicht warten, zum Taxis hatten wir keine Lust, also gingen wir zu Fuß zurück zum Campingplatz – über die Brücke. 2021 mussten wir unsere Pläne für den Sommerurlaub sehr kurzfristig wegen der damaligen Corona-Situation ändern und so waren wir eine Woche, nachdem in Norwegen die Einreiseeinschränkungen aufgehoben waren, in Norwegen. Bei diesem Urlaub ist der Entschluss gefallen, mich für 2023 in Tromsø anzumelden. Was wir damals nicht wissen und bei Corona nicht planen konnten, war, dass es jetzt genau mein 50. Marathon werden würde, was ein schöner Zufall. Und was wir 2021 erst recht nicht wissen konnten, war, dass der Marathon exakt auf das Datum fallen würde, an dem sich der Todestag meines Vaters zum ersten Mal jähren würde. Er war immer sehr interessiert an meinen Läufen und Reisen und hätte sich sicher gefreut, hier davon zu lesen und sich mit mir darüber nach Rückkehr auszutauschen. „Alles hat seine Zeit…“ und so traf es sich für mich bei dem Midnight Sun Marathon, dass Glücksgefühle und Trauer beieinander lagen und ich vielleicht während des Laufens mehr gemeinsame Zeit mit meinem Vater hatte, als dies an einem anderen Ort der Fall gewesen wäre.

Mein Dank gilt unserem Trainer Udo, der, wie immer und bei ganz vielen Marathon-Läufen zuvor, mit Rat und Tat zur Seite stand und nicht die Mühe scheute, für mich einen ganz eigenen Trainingsplan zu schreiben, der von den anderen Plänen unserer Laufgruppe abwich. Dank an „meine“ Laufgruppe, die mich unterstützt hat. Jutta hat mich nicht nur bei langen Läufen begleitet, sodass ich beim Erzählen während eines Laufes nicht einmal gemerkt hatte, dass ich bereits 30 Minuten in einem schnelleren Tempo unterwegs war, wie Udo dies für 15 Minuten vorgeschlagen hatte, sondern auch dienstags immer wieder verdonnert worden war, mit mir mein Programm mit den „schnellen“ Stadionrunden zu absolvieren. Zitat Trainer Udo: „Jutta, Du hattest ja am Wochenende Wettkampf und musst heute nicht trainieren, Du kannst mit Thomas laufen“. Ich habe es stets bewundert, wie Udo seine LäuferInnen immer wieder motivieren kann, an genau diesem Dienstag habe ich wohl meine besten Runden der gesamten Vorbereitung im Stadion absolviert.

Und so ergeht es einem eben, wenn man(n) oder frau noch in der Altersklasse Ü60 läuft. Aber es macht mir Spaß und immer noch Freude, in meinem nun deutlich reduzierten Tempo meine Runden im Stadion zu drehen, die ich persönlich als Training empfinde. Dafür, dass ich dies (noch) kann, bin ich sehr dankbar und voller Demut. Und zuletzt mein Dank an Susanne, die nicht nur und wieder einmal vor Ort begleitet, unterstützt und miterlebt hat, sondern im Vorfeld die Verrücktheit eines Läufers ertragen muss.

Wer mehr über den Marathon erfahren will findet mehr auf der MidnightSunMarathon-Homepage unter www.msm.no, Bilder von Tromsø und Lauf sind hier: https://hidrive.ionos.com/share/mcugy9hhie#$/

Lieber Thomas -gemeinsame sind die besten Einheiten! Ich freu mich auf deine Rückkehr....